Arabella – Theater Bonn – 31.10.2021

Besprechung von Markus Guggenberger

Arabella

Lyrische Komödie in drei Akten

Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Musikalische Leitung: Dirk Kaftan
Inszenierung, Bühnenbild, Licht: Marco Arturo Marelli
Regieassistenz und Abendspielleitung: Ruben Michael
Kostüme: Dagmar Niefind
Einstudierung des Chores: Marco Medved
Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer

Am 31. Oktober 2021 steht mit der Neuinszenierung von Richard Strauss‘ Oper „Arabella“ nicht nur eine der lyrischsten Komödien des gängigen Musiktheater-Repertoires auf dem Spielplan des Theaters Bonn, sondern es handelt sich dabei auch um jenes Bühnenwerk der Opernliteratur, das die vordergründig leichten und humoristischen Szenen mit tiefgründiger zwischenmenschlicher Psychologie kongenial verbindet. Für die Inszenierung zeichnet sich der legendäre Schweizer Opernregisseur sowie Bühnenbilder Marco Arturo Marelli verantwortlich, der zu den maßstabsetzenden Regisseuren seiner Generation zählt. Marellis Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er sich mit künstlerischer Akribie den aufzuführenden Werken nähert und diese nicht nur bildgewaltig, sondern vor allem inhaltlich unverfälscht in Szene setzt. Marellis Operninszenierungen beeindrucken in ihrer Bühnenausstattung vor allem durch puristische Geradlinigkeit – zudem gewinnen sie durch eine faszinierende Lichtgestaltung enorm an Opulenz hinzu. Gekrönt werden die Produktionen durch eine bis ins Detail ausgearbeitete Personenregie, die die Persönlichkeiten hinter den handelnden Figuren psychologisch herausarbeitet, sowie prägnant und authentisch in Szene setzt. Zu seinen erfolgreichsten Produktionen zählen u.a. „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy und „Die ägyptische Helena“ von Richard Strauss an der Deutsche Oper Berlin. Maßgeblich für Marellis Inszenierungen ist die detailreiche Auseinandersetzung mit dem historischen Sujet der darzustellenden Oper, sowohl in Bezug auf die politisch-gesellschaftliche Situation zur Zeit der Handlung als auch in Bezug auf die Biographie des Komponisten.

„Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ – wenn man diesem umformulierten Zitat, das dem Schriftsteller Alfred Polgar 1921 zugeschrieben wird, Glauben schenken darf, dann spiegelt dies die k. und k. Gelassenheit jener doch schon recht ramponierten aristokratischen Gesellschaft der Wiener Kaiserstadt um 1860 wider. 1927 führte der Wunsch nach einem „zweiten Rosenkavalier“ Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in dies – in diesem Zitat beschriebene – morbide, müde Wien der Gründerjahre mit ihren schon etwas recht muffigen und festgefahrenen Gestalten: „Wir sind nicht grad sehr viel. Wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen.“ – In diesem freimütigen Geständnis der schönen Arabella, das sie ihrem Verehrer, dem Herrn von Mandryka, macht, liegt der präzise soziologische Hinweis der beiden Autoren Hofmannsthal und Strauss. Im Luxus einer im Verfall begriffenen Hautevolee bildet die gräfliche Familie des Rittmeisters a.D. Waldner ein Zeitsymptom. Der Ursprung des freierfundenen Inhalts der Oper „Arabella“ liegt in der novellistischen Skizze „Lucidor“ von Hugo von Hofmannsthal, die mit dem Untertitel „Figuren einer ungeschriebenen Komödie“ versehen war. Bereits hier begegnet man der geheimnisvollen Gestalt eines als Jüngling aufgezogenen Mädchens, das alle Stufen der Liebe und Leidenschaft erlebt und für ihre eigene Schwester Glück und den Geliebten erkämpft. Fast zwei Jahre lang zog sich die Gestaltung des Librettos zu „Arabella“ in unablässiger gemeinsamer Arbeit hin. Lang dauerte es, bis sich Strauss mit gewissen harmlosen bzw. konfliktlosen Charakterzügen Arabellas abfand – immerhin sah er ursprünglich in ihr eine zweite und neue Marschallin. Und tatsächlich wirkt literarisch vieles als etwas schwächerer Aufguss der Essenzen im Vergleich zur größeren Musikkomödie des „Rosenkavaliers“: Das Epische der Vorlage bleibt spürbar, die Motive hingegen sind fragwürdiger, denn die „Welt der Bezüge“ erscheint weniger dicht und lebensnah – die Satire des kulturhistorischen Bildes sind nur im Umfeld des Hasardeurs Waldner und des Fiakerballs vorhanden. Am reinsten entfaltet sich das Dichterische, vor allem auch im Sprachlichen, bei und während der Begegnungen des Liebespaares Arabella und Mandryka. Die volkstümlichen Elemente, wie z.B. der Fiakerball selbst, entnimmt Hugo von Hofmannsthal seinem Lustspielszenar „Der Fiaker als Graf“ aus dem Jahr 1925. Im Mittelpunkt des Librettos der Oper stehen final die schöne, von allen umworbene Arabella als ein „ganz reifes, wissendes, ihrer Kräfte und Gefahren bewusstes junges Mädchen“ und Mandryka, der Aristokrat und „halbe Bauer“ aus der Walachei. Beide verkörpern die ewige Kraft der Liebe, die hier mit dem bräutlichen Symbol der Keuschheit – wenn Arabella das Glas Wasser an Mandryka überreicht – gesund und vor allem natürlich aufblüht.

Am 12. Oktober 1932 war, vor allem auf Drängen des Dresdner Intendanten Alfred Reucker, die finale Partitur der „Arabella“ beendet, nachdem Strauss die Arbeit daran hatte etwas schweifen lassen, da er sich bereits einem weiteren Werk, nämlich der „Schweigsamen Frau“, zugewandt hatte. Schon früh hatte Strauss die Dresdner Oper als Uraufführungsort von „Arabella“ auserkoren und so widmete er das Werk deren künstlerischen Leitern Alfred Reucker und Fritz Busch. Als diese Anfang 1933 dem Nazisystem weichen mussten, wollte Strauss sich der bestehenden Vertragsverpflichtung entziehen und seine „Arabella“ wieder in der Schreibtischschublade verstauen. Es galt eine Unmenge an Schwierigkeiten beiseite zu räumen, bis es am 1. Juli 1933 im Semperbau zur Uraufführung kam. Für die Premiere konnte ein erlesenes Ensemble mit Viorica Ursuleac, Margit Bokor, Alfred Jerger und Friedrich Plaschke gewonnen werden, das sich unter der Leitung von Clemens Krauss zu Höchstleistungen antreiben ließ.

Dirigat und Orchester
Am Pult des bewährten Beethoven-Orchesters Bonn steht in dieser Premierenstaffel von „Arabella“ der amtierende Generalmusikdirektor des Theaters Bonn Dirk Kaftan. Er gilt als ausgewiesener Spezialist vor allem für das Deutsche Opernfach, wobei die Werke Richard Strauss‘, Ludwig van Beethovens, Richard Wagners und Manfred Trojahns einen Schwerpunkt in Kaftans Repertoire einnehmen. Kaftans Interpretation der „Arabella“ überzeugt durch ihre inspirierte Klangästhetik, die, mit Sensibilität und Feingefühl gepaart, eine umfangreiche Palette an farblichen Nuancierungen und Akzentuierungen offenbart. Besonders eingängig und einfühlsam präsentiert Kaftan die für diese Oper typischen slawischen Volksweisen, ohne aber ein gewisses Maß an süßlicher – nie aber kitschig-schmalziger – Wiener-Walzer-Charakteristik vermissen zu lassen. Zudem erweist sich Dirk Kaftan als höchst sängerfreundlicher Kapellmeister: Zugunsten des Gesanges nimmt er das Orchester an ausgewählt lyrischen Passagen ins adäquate Piano zurück und reagiert mit dynamischen Abstufungen auf die vokalen Bedürfnisse des Sänger*innenensembles. Als Kritikpunkt kann angeführt werden, dass das Dirigat in seiner Gesamtheit doch als recht straff und energiegeladen zu bezeichnen ist – Dirk Kaftan hätte spezifischen Parlando-Szenen somit ein My mehr Lyrik hätte angedeihen lassen dürfen. Zum orchestralen wie dirigentischen Höhepunkt zählt zweifelsohne das Intermezzo zum Dritten Akt, in dem der Klangkörper schwelgerisch und klangcharakteristisch kontrastierend zu instrumentaler Höchstform auffährt.

Besetzung

Graf Theodor Waldner, Rittmeister a. D.: Martin Tzonev
Adelaide: Stephanie Houtzeel (anstelle der erkrankten Susanne Blattert)
Arabella: Barbara Senator
Zdenka: Nikola Hillebrand
Mandryka: Giorgos Kanaris
Matteo: Martin Koch
Graf Elemer: Santiago Sánchez
Graf Dominik: Mark Morouse
Graf Lamoral: Pavel Kudinov
Die Fiakermilli: Julia Bauer
Eine Kartenaufschlägerin: Yannick-Muriel Noah

Besonders hervorzuheben sind:

Arabella: Barbara Senator
Zdenka: Nikola Hillebrand

Für die Titelpartie von Strauss‘ „Arabella“ konnte die deutsche Sopranistin Barbara Senator gewonnen werden. Sie gilt als etablierte Vertreterin des jugendlichen Sopranfachs, sodass sie für die lyrischen Partien aus dem umfangreichen Opern-Repertoire Mozarts und Humperdincks‘ geradezu prädestiniert ist. Zu ihren bedeutenden Rollen zählen u.a. Contessa („Le nozze di Figaro“), Pamina („Die Zauberflöte“) und die Gänsemagd („Königskinder“). Barbara Senator begeistert in dieser Vorstellung als eine hinreißend elegante und wohlklingende Arabella, die nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch eine unschuldig wirkende, aber dennoch recht emanzipierte Rittmeistertochter darstellt. Sie imponiert mit einer vollmundigen Mittellage und auch die sopranistischen Höhen ersingt Senator mit spielerischer Leichtigkeit, wodurch der erforderliche „Strauss’sche Ton“ hervorragend zu Gehör gebracht wird. Das obere Register erweist sich als strahlend, rein und eindringlich und lässt auch interpretatorisch das nötige Maß an Unschuld nicht vermissen. Die für Arabella so existenzielle Szene „Ich red‘ im Ernst, ich red‘ die Wahrheit jetzt zu dir! – Aber der Richtige“ erklingt in Senators Auslegung wahrlich hingebungsvoll, sehnsuchtsvoll und verklärt, sodass kein Auge trocken zu bleiben vermag. Darstellerisch überzeugt Barbara Senator mit unaufdringlicher Noblesse, die jede ihrer Bewegungen, jede Regung ihrer Gestalt vorteilhaft und ausdrucksvoll unterstreicht.

Mit Nikola Hillebrand konnte eine der derzeit gefragtesten und begabtesten Sopranistinnen ihrer noch recht jungen Generation für die Rolle der Zdenka verpflichtet werden. Als derzeitiges Ensemblemitglied der Semperoper Dresden reüssiert sie in Partien wie z.B. Sophie („Der Rosenkavalier“), Konstanze („Die Entführung aus dem Serail“) und Königin der Nacht („Die Zauberflöte“). Anhand ihrer grandiosen Leistungen, die bei Presse wie Publikum für Begeisterungsstürme sorgen, zeigt sich, dass Hillebrand bereits in jungen Jahren die Spitzenklasse der sopranistischen Gesangskunst erreicht hat. Sie verfügt über einen Hohen Sopran, der hauptsächlich lyrische, aber auch jugendlich-dramatische Komponenten in sich vereint. Demnach liegt die burschikose Hosenrolle des Zdenko bzw. der Zdenka bei Hillebrand in den besten Händen. Nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch verkörpert sie die erzwungene Travestie Zdenkas unfassbar authentisch und hingebungsvoll, wobei die unterdrückte Weiblichkeit und die Sehnsucht nach ihrem verehrten Matteo omnipräsent sind. Sie erklimmt die komplexen Höhen Zdenkas mit betörenden, glasklaren Phrasierungen, die an Brillanz wohl kaum zu überbieten sind. Hillebrands stimmliche Reinheit und Jungfräulichkeit vermögen es, den Charakter dieser Rolle in Gänze auszufüllen und exzeptionell zu beleben. Nicht nur während des Duetts mit ihrer Schwester Arabella „Ich weiß nicht, wie du bist, ich weiß nicht, ob du Recht hast“, sondern auch im Rahmen ihrer körperlichen Enthüllung im Dritten Akt „Nur schnell Adieu sag‘ ich euch allen. Ich muss fort.“ stellt Hillebrand ihre sängerischen Fähigkeiten auf höchstem Niveau unter Beweis. Brava!

© Markus Guggenberger

Titelbild: http://www.theater-bonn.de – Pressemappe (Giorgos Kanaris, Santiago Sánchez, Julia Bauer, Barbara Senator, Pavel Kudinov) / Photo-©: Thilo Beu – honorarfrei (Permission: Dr. Felicitas Weber)
Ein Besetzungszettel konnte vom Theater Bonn nicht zur Verfügung gestellt werden.

Abb.1: http://www.theater-bonn.de – Pressemappe (Mark Morouse, Nikola Hillebrand, Santiago Sánchez, Barbara Senator, Giorgos Kanaris) / Photo-©: Thilo Beu – honorarfrei (Permission: Dr. Felicitas Weber)
Abb.2: http://www.theater-bonn.de – Pressemappe (Martin Tzonev, Barbara Senator, Nikola Hillebrand) / Photo-©: Thilo Beu – honorarfrei (Permission: Dr. Felicitas Weber)
Abb.3: http://www.theater-bonn.de – Pressemappe (Barbara Senator, Nikola Hillebrand) / Photo-©: Thilo Beu – honorarfrei (Permission: Dr. Felicitas Weber)
Abb.4: http://www.cecilia-cmc.de (Dirk Kaftan) / Photo-©: Irène Zandel (Permission: Franz-Georg Stähling)
Abb.5: http://www.proscenium.at (Barbara Senator) / Photo-©: EF-A-FOTODESIGN (Permission: PROSCENIUM Artist’s Management GmbH)
Abb.6: http://www.tact4art.com (Nikola Hillebrand) / Photo-©: Christian Kleiner (Permission: Julia Sinyagur)

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