„BariTenor“ – Michael Spyres – Orchestre philharmonique de Strasbourg – 5.11.2021

Besprechung von Markus Guggenberger

„BariTenor“ – Michael Spyres

Arien und Ouvertüren

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, Gioachino Rossini, Giuseppe Verdi, Adolph-Charles Adam, Richard Wagner, Ambroise Thomas, Franz Lehár und Gaetano Donizetti

Musikalische Leitung: Marko Letonja
Orchester: Orchestre philharmonique de Strasbourg
Chor: Chœur de L’Opéra national du Rhin
Einstudierung des Chores: Alessandro Zuppardo
BariTenor: Michael Spyres
Iago: Sangbae Choï
Marcellus: Mario Montalbano
Horatio: Fabien Gaschy
Nathanaël: Nicolas Kuhn

Am 5. November 2021 steht mit dem Konzert „BariTenor“ einer einzigartiger musikalischer Höhepunkt auf dem Spielplan des „Orchestre philharmonique de Strasbourg“. Kein Geringerer als der legendäre US-amerikanische Tenor Michael Spyres gastiert im Salle Érasme des „Strasburger Palais de la Musique et des Congrès“ und präsentiert in diesem feierlichen Ambiente einen außergewöhnlichen Arienabend, der bezüglich des Programms auf der im September 2021 neu erschienen CD „BariTenor“ (Erato/Warner Classics ®) basiert. Mit diesem Arien-Programm gelang Michael Spyres ein Album, das sich jeder Schubladisierung eines Stimmfachs entzieht: Kunstvoll kombiniert er die Vielseitigkeit eines breit gefächertes Opern-Repertoires, das – normalerweise getrennt voneinander – einerseits Tenören und andererseits Baritonen zugeordnet wird. Ziel dieser CD bzw. dieses Arien-Programms ist es, die heutzutage weitgehend in Vergessenheit geratene Stimm(en)ästhetik des sogenannten BariTenors wiederzubeleben, in Erinnerung zu rufen und damit erneut salonfähig zu machen. Mit den in diesem Konzert elf dargebotenen Arien schlägt Michael Spyres den Spagat vom italienischen bzw. französischen Belcanto über die Deutsche Romantik hin zur vermeintlich leichten Muse der Operette.

Michael Spyres, der in jungen Jahren seine Sängerkarriere als Bariton begann, erarbeite sich innerhalb von rund zehn Jahren seiner sängerischen Laufbahn die respektablen Höhen eines Tenors und ging weit darüber hinaus. Große Bekanntheit erlangte er für seine nahezu überirdisch hohen Spitzentöne, die auf einer Gesangstechnik basieren, in der die profunde, baritonal angehauchte Bruststimme Spyres‘ mit einem beeindruckenden, in den Übergängen unfassbar weichen und hohen Falsett kombiniert wird. Michael Spyres reüssiert mit dieser Stimmtechnik vor allem in den Rollen des Rossinischen und Donzettinischen Belcantos, für deren staccatierte Läufe und Koloraturen seine vokalen Fähigkeiten geradezu prädestiniert sind. Auf Grund seiner unfassbar ausgeprägten Tessitura reaktiviert Michael Spyres im Rahmen dieser CD-Einspielung den beinahe in Vergessenheit geratenen Begriff des „BariTenors“ und reklamiert diese Terminologie für sich und seine exzeptionelle Gesangstechnik. Der „BariTenor“ beschreibt eine Stimmlage, in der die brillant hohen Spitzen-Töne eines Tenors mit dem robusten, unteren Register eines Baritons ausbalanciert werden. Spyres sieht sich einer Tradition von Gesangskunst und Stimmtechnik verpflichtet, die vor mehr als 200 Jahren eine Selbstverständlichkeit und vor allem in Italien etabliert war. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts fand eine stärkere Segmentierung und Spezialisierung statt. Spyres‘ berühmtester Vorgänger war wohl der 1768 geborene Jean-Blaise Martin, der als erster dokumentierter Sänger eine solche „gegabelte“ Stimme aufwies – er wurde als „dunkel timbrierter, tiefer Tenor“ oder vice versa als „heller, hoher Bariton“ beschrieben. Michael Spyres geht noch einen Schritt weiter und fügt diesem sog. „Baryton-Martin“-Stimmtypus noch das hohe tenorale Register und das damit einhergehende Falsett hinzu, wodurch sämtliche Arien in Bezug auf die Tessitura und Koloraturfähigkeit noch virtuoser erklingen.

Programm

1) Wolfgang Amadeus Mozart: Aus „Idomeneo“: „Fuor del mar“ K. 366, Akt II, Szene 3, Nr. 12b
2) Wolfgang Amadeus Mozart: Aus „Idomeneo“: Ballett K. 367 (Auszüge)
3) Wolfgang Amadeus Mozart: Aus „Le nozze di Figaro“: „Hai gia vinta la causa“ K. 492, Akt III, Szene 4, Nr. 18
4) Gioachino Rossini: Aus „Il barbiere di Siviglia“: „Largo al factotum“ Akt I, Nr. 2
5) Giuseppe Verdi: Ouvertüre zu „I masnadieri“
6) Gioachino Rossini: Aus „Otello“: „Ah! Si, per voi gia sento“ Akt I, Szene 1, Nr. 2
7) Adolph-Charles Adam: Ouvertüre zum Ballett „Giselle“
8) Adolph-Charles Adam: Aus „Le Postillon de Lonjumeau“: „Mes amis, écoutez l’histoire“ Akt I, Nr. 3
9) Richard Wagner: Vorspiel zum 3. Akt von „Lohengrin“
10) Richard Wagner: Aus „Lohengrin“: „Aux bords lointains“ („Gralserzählung“)
11) Giuseppe Verdi: Aus „Il trovatore“: „Tutto è deserto… Il balen del suo sorriso“ Akt II, Szene 3
12) Ambroise Thomas: Ouvertüre zu „Hamlet“
13) Ambroise Thomas: Aus „Hamlet“: „Oh, vin! Dissipe la tristesse“ Akt II, Szene 7
14) Franz Lehár: Ouvertüre zu „Die lustige Witwe“
15) Franz Lehár: Aus „Die lustige Witwe“: „Da geh‘ ich zu Maxim!“ Akt I, Nr. 4
16) Jacques Offenbach: Aus „Les Contes d’Hoffmann“: „Va! Pour Kleinzach“ Akt I, Szene 4
17) Gaetano Donizetti: Aus „La fille du régiment“: „Ah! Mes amis“ Akt I, Szene 11

BariTenor
Michael Spyres, der derzeit als einer der führenden Vertreter des Belcanto-Fachs gehandelt wird, hat es vor allem mit ausgewählten Rollen aus den Opern Gioachino Rossinis sowie Gaetano Donizettis in jüngster Vergangenheit zu großer Popularität gebracht, wobei besonders Pirro („Ermione“), Pollione („Norma“) und Arnold Melcthal („Guillaume Tell“) zu erwähnen sind. Seit geraumer Zeit widmet sich Spyres aber auch dem dramatischen Heldentenor-Fach, wodurch er sich sukzessive ein umfangreicheres und vielfältigeres Rollenrepertoire erarbeitet. Zu seinen derzeit herausragenden Interpretationen zählen u.a. die Titelpartien in „Benvenuto Cellini“, „Idomeneo“ sowie auch „Oedipus Rex“. Besonders sein Idomeneo – das umjubelte Rollendebüt fand vor kurzem bei den Herbstfestspielen in Baden-Baden statt – gehört zum Virtuosesten, was jemals in dieser Partie zu Gehör gebracht worden ist. Das Strasbourger „BariTenor“-Konzert wird mit der höchst anspruchsvolle Arie „Fuor del mar“ Idomeneos eröffnet, wobei neben der klangästhetischen Gesangsleistung vor allem Spyres‘ breit angelegte Tessitura imponiert, die von den Höhen eines Baritons zum exquisiten tenoralen Falsett reicht. Das Timbre präsentiert sich als überaus lyrisch und hat eine weiche, mediterran angehauchte Färbung. Spyres‘ Phrasierungen erklingen mühelos und auf tenoral höchstem Niveau, sodass auch das gefürchtete hohe Register mit vermeintlicher Mühelosigkeit ersungen wird. Besonders erwähnenswert erscheinen dabei auch die Übergänge von tiefer und kräftiger Bruststimme hin zu den klangschönen und reinen Spitzentönen seines belcantischen BariTenors. In Bezug auf das Bariton-Fach sind an diesem Arien-Abend vor allem die exquisiten Interpretationen der Figaro-Arie „Largo al factotum“ aus „Il barbiere di Siviglia“ sowie auch die berüchtigte Luna-Arie „Il balen del suo sorriso“ aus „Il trovatore“ zu erwähnen. Mit welch baritonalem, hell-timbriertem Schmelz Spyres diese Auszüge darbietet, ist von enormer Faszination. Dabei imponiert er mit einer unfassbar voluminösen und vollmundigen Mittellage, sowie auch einer konzentriert ersungenen Tiefe – die Registerübergänge begeistern ob ihres lyrischen und geschmeidigen Legatos. Die französische Version der Grals-Erzählung „Aux bords lointains“ aus Richard Wagners „Lohengrin“ zeigt die enorme Wandlungsfähigkeit Michael Spyres‘, die in dieser Fassung eine ansprechende, wenn auch recht eigenwillige Kontemplation und Transzendenz vermittelt. Sein Lohengrin ist ungewöhnlich weich, sensibel und belcantisch charakterisiert, wodurch er dem Gralsritter eine exotische, italienische Note verleiht. Absoluter Höhepunkt des Konzerts ist Spyres‘ Auslegung der „Kleinzach-Arie“ aus Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“. Im Vergleich zu Neil Shicoff oder Roberto Alagna, die ihren Hoffmann weitaus dramatischer und inbrünstiger gesungen haben und damit an die Grenze der vokalen Belastbarkeit gegangen sind, legt Michael Spyres diese Rolle lyrischer, sanfter und weitaus belcantischer an, ohne dabei aber an Virtuosität einzubüßen. Mit seinem jugendlich-lyrischen und gleichsam kräftigen Tenor, der zu voluminösen und rein ersungenen Ausbrüchen fähig ist, begeistert Spyres mit pointiert gesetzten Spitzentönen. Vokal wie darstellerisch offeriert Spyres ein Rollen-Portrait Hoffmanns, das das Publikum zu stehenden Ovationen hinreißen lässt. Bravo!

© Markus Guggenberger

Titelbild: http://www.philharmonique.strasbourg.eu – Pressemappe (Michael Spyres, Marko Letonja) / Photo-©: Gregory Massat (Permission: Bettina Sorel)
Besetzungszettel liegt im Original vor.

Abb.1: http://www.philharmonique.strasbourg.eu – Pressemappe (Michael Spyres) / Photo-©: Gregory Massat (Permission: Bettina Sorel)
Abb.2: http://www.philharmonique.strasbourg.eu – Pressemappe (Michael Spyres, Marko Letonja) / Photo-©: Gregory Massat (Permission: Bettina Sorel)
Abb.3: http://www.philharmonique.strasbourg.eu – Pressemappe (Marko Letonja, Michael Spyres) / Photo-©: Gregory Massat (Permission: Bettina Sorel)

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