Attila – Gran Teatre del Liceu – 8.4.2018

Besprechung von Markus Guggenberger

Attila

Oper in einem Prolog und drei Akten

Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Temistocle Solera, vollendet von Francesco Maria Piave

Musikalische Leitung: Speranza Scappucci
Orchester: Orquestra simfònica del Gran Teatre del Liceu
Chor: Cor del Gran Teatre del Liceu
Einstudierung des Chores: Conxita Garcia

Am 8. April 2018 steht in Barcelona mit der konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis „Attila“ eine höchst selten gespielte Oper auf dem Spielplan des Gran Teatre del Liceu, weshalb die Vorstellung dieser Opern-Rarität durchaus als musikalischer Höhepunkt der Saison 2018/19 bezeichnet werden kann. Es handelt sich bei „Attila“ um die neunte der 28 Opern Verdis und ist demnach, neben Werken wie „Ernani“, „I dueGiuseppe Verdi - Foto von Giacomo Brogi Foscari“, „Giovanna d’Arco“ und „Macbeth“, in die Blütezeit der italienischen Klassik einzuordnen. Dem breiten Publikum dürften die Melodien und der Inhalt der Oper „Attila“ wohl eher kaum geläufig sein – unter Kennern jedoch genießt sie eine große Beliebtheit und gilt als eines der unterschätztesten Meisterwerke Verdis. Trotz ihrer Unbekanntheit erfordert „Attila“ ein nicht minder hohes gesangstechnisches Niveau und verlangt von den Solisten in allen Stimmlagen gesangliche Höchstleistungen ab. In Bezug auf die vokalen Anforderungen erweist sich eine belcantische Gesangstechnik und Stimmfarbe von Vorteil, wie es vor allem bei den Opern von Gioachino Rossini und Gaetano Donizetti verlangt wird. Das Gran Teatre del Liceu wartet in dieser konzertanten Vorstellung von „Attila“ besonders in den Hauptpartien mit einer hochkarätigen Sängerbesetzung von internationalem Rang auf und wird zudem vom Orquestra simfònica del Gran Teatre del Liceu unter der musikalischen Leitung der aufstrebenden, italienischen Dirigentin Speranza Scappucci begleitet, die bereits am Mariinsky Theater mit dem Dirigat von „Attila“ für Aufsehen gesorgt hat.
Dadurch, dass es sich bei dieser Vorstellung um eine konzertante Aufführung handelt, kann die Aufmerksamkeit des Publikums gezielt auf den Inhalt der Oper gelenkt werden, da die Sänger und das Orchester in den Mittelpunkt des Geschehens rücken und nicht, wie so oft, eine mehr oder minder gelungene Inszenierung. Dennoch sollte man sich als Zuhörer mit dem Inhalt der Oper „Attila“ auseinandersetzen, um die halbszenisch dargestellten, zwischenmenschlichen Beziehungen auf dem Konzertpodium besser nachvollziehen zu können.Attila - Liceu Barcelona 5

Dass Giuseppe Verdi im Jahre 1846 seine neunte Oper „Attila“ am Teatro La Fenice in Venedig mit großem Erfolg zur Uraufführung brachte, war wohl das Ergebnis eines nur wenige Monate zurückliegenden persönlichen Rückschlags. Die Premiere seiner Attila - Im Kampf - Gemälde von Eugène Delacroixvorausgegangen Oper „Alzira“ entpuppte sich als herbe musikalische Enttäuschung, weshalb Verdi massiv in der Publikumsgunst absank. Der bis dahin enorm erfolgsverwöhnte Komponist musste harte Kritiken in Bezug auf den Opern-Schauplatz, das Libretto und seine Einstellung zur Kirche einstecken. Voller Tatendrang orientierte sich Verdi an seinen früheren Kassenschlagern „Ernani“ und „Nabucco“ und spielte mit dem Gedanken, erneut eine archaisch-heroische Gestalt in den Mittelpunkt seines neuen Werkes zu stellen. Wenn man sich näher mit der Entstehungsgeschichte von „Attila“ auseinandersetzt, wird man feststellen, dass vor allem die Beschaffenheit dieses Librettos zu einem Knackpunkt seines kompositorischen Schaffens werden sollte. Das Textbuch zu „Attila“ bildet, nach dem inhaltlichen Misserfolg von „Alzira“, eine Art Übergangsphase von alten librettistischen Konventionen hin zu neuen Formen der dramaturgischen Spannung.Attila - Liceu Barcelona 3

Die Idee, ein musikalisches Opus über den Hunnenkönig Attila zu schreiben, reifte in Giuseppe Verdi schon einige Jahre vorher heran. Bereits im Temistocle Solera - urheberrechtsfreiJahre 1844 beschäftigte sich Verdi zum ersten Mal mit dem Hauptwerk des deutschen Schriftstellers und Dramatikers Zacharias Werner, nämlich „Attila, König der Hunnen“. Die Anziehungskraft und die Darstellung der drei Hauptcharaktere Attila, Ezio und Odabella in Werners Drama faszinierten Verdi derart, dass es ihm ein inneres Bedürfnis war den Patriotismus und das nationale Ehrgefühl in Form einer Oper zu vertonen. Hin und her gerissen war Verdi, welchem seiner Librettisten er den Vorzug geben sollte. 1844 schickte er Francesco Maria Piave eine erste Skizze, entzog ihm aber ein Jahr später den Auftrag wieder, da dieser ein konventionelles, althergebrachtes Handlungsgeschehen ausgearbeitet hätte. Auf Grund der persönlichen Rückschläge durch „Alzira“ erhielt den Zuschlag stattdessen Temistocle Solera, ein italiensicher Dichter, der Verdi bereits mit „Nabucco“ einen großen Erfolg verschaffte. Dieser stellte das Textbuch bis auf den nur skizzierten Dritten Akt fertig. Mit dessen vagem Einverständnis griff Verdi dann doch noch einmal auf die Hilfe Piaves zurück, der das Libretto einer finalen Redaktion unterzog und es schließlich vollendete. Als Solera das von Piave überarbeitete Werk zurückerhielt, reagierte er erzürnt und empört, was in der Kündigung einer langjährigen Freundschaft zwischen ihm und Giuseppe Verdi endete. Musikalisch sind in der Oper „Attila“ zwei große, nur sporadisch ineinander übergehende Handlungsstränge festzustellen. Im Mittelpunkt steht nicht, wie zu erwarten, das „Liebesdrama“ zwischen der Römerin Odabella und ihrem Geliebten Foresto, sondern das epochale Handlungskonstrukt rund um den bedeutungsvollen Völker- und Religionskonflikt zwischen Römern und Hunnen. Dieses „Machtdrama“ ist auch in der enorm reduzierten Personenkonstellation der Oper erkennbar: Mit nur vier Hauptfiguren und zwei Nebenprotagonisten ist die Handlung recht leicht verständlich – lediglich die konfliktbelastete Ménage à trois entstammt dem klassischen, opernhaften Sujet.ICULT ATTILA CON ILDAR ABDRAZAKOV FOTO A  BOFILL

Dirigat und Orchester
Die musikalische Leitung über das Orquestra simfònica del Gran Teatre del Liceu undSperanza Scappucci - Portrait (c) Dario Acosta den von Conxita Garcia einstudierten Cor del Gran Teatre del Liceu hat an diesem konzertanten Abend von „Attila“ die junge, aufstrebende italienische Dirigentin Speranza Scappucci inne. Scappucci, die als eine der wenigen, jungen Dirigentinnen in den letzten Jahren international Aufsehen erregt hat, entlockt dem Orchester unter agilem, höchst engagiertem Körpereinsatz eine über weite Strecken hinweg schwungvolle und spritzige Interpretation. Sie trifft in puncto Rhythmik und Dynamik exakt den klassischen, leicht schmalzig angehauchten Harmonie-Charakter, der essenziell für die Bühnenwerke aus der mittleren Schaffensperiode Verdis ist. Besonders die Blechbläser und die Violinen folgen den kapellmeisterischen Einsätzen vorbildlich und generieren erhebende orchestrale Momente. Scappucci gelingt es vor allem im Ersten und Dritten Akt die heroische und zugleich monumentale Musik Verdis herauszuarbeiten. Lediglich bei einigen lyrischen Passagen sowie verhaltenen Liebesduetten oder Solo-Arien wären mehr orchestrale Spannungsbögen und musiktheatralische Kontraste wünschenswert, da sich das Wechselspiel aus rasanten Tempoläufen und der lyrischen Harmoniegestaltung oftmals recht unausgeglichen darstellt. Positiv hervorzuheben ist ein überaus sängerfreundliches Dirigat Scappuccis, die diesen grandiosen Abend mit den Interpreten auf musikalischer Augenhöhe gestaltet und besonders bei den Koloraturen der Cabalettas auf die stimmlichen Ressourcen und Fähigkeit der Sänger eingeht.
Fazit: 
Speranza Scappucci versteht es am Pult des Orquestra simfònica del Gran Teatre del Liceu mit schwungvoller Rhythmik und überwiegend vorantreibender Dynamik das Publikum für die Opern-Rarität „Attila“ zu begeistern. Prominent in Erinnerung bleiben eine musikalisch ansprechende Leistung des Orchesters und das höchst engagierte Dirigat Scappuccis!Attila - Liceu Barcelona 1

Besetzung

Attila: Ildar Abdrazakov
Ezio: Vasily Ladyuk
Odabella: Anna Pirozzi
Foresto: José Bros
Uldino: Josep Fadó
Leone: Ivo Stanchev

Besonders hervorzuheben sind:

Attila: Ildar Abdrazakov
Ezio: Vasily Ladyuk
Foresto: José Bros

Für die Titelpartie von „Attila“ konnte der russische Bass Ildar Abdrazakov verpflichtet Ildar Abdrazakov - Portrait (c) Anton Weltwerden, der als einer der bedeutendsten Fach-Vertreter seiner Generation gilt. Weltweit interpretiert er die hoch anspruchsvollen Bass-Partien wie Mephistopheles („Faust“), Boris Godunov, Philipp II („Don Carlo“) oder Mustafa („L’Italiana in Algeri“), die ihm zu großer Berühmtheit verholfen haben. Mit der Interpretation von Verdis „Attila“ tritt Abdrazakov in die Fußstapfen großer Rollen-Vorgänger, wie Ferruccio Furlanetto oder Nicolai Ghiaurov, allen voran aber, Samuel Ramey, der in dieser Rolle Geschichte geschrieben hat und als der bedeutendste „Attila“ gehandelt wird. Umso erfreulicher ist zu berichten, dass Abdrazakov sich mit Bravour in die Liste dieser Sängergrößen einreihen kann, da er einen ausgesprochen heroischen und gleichsam balsamischen Bass-Bariton präsentiert, der in sämtlichen Registern zu kraftvoll-voluminösen Ausbrüchen imstande ist und dabei keineswegs an vokaler Präzision verliert. Er verfügt über ein dunkel-koloriertes, ausgesprochen klangästhetisches Stimmtimbre, wodurch er die gefürchteten Tücken dieser strapaziösen Bass-Partie mit vermeintlicher Leichtigkeit meistert. Die Koloraturen erklingen frisch, kräftig, aber auch mit der nötigen, archaischen Härte, um diese historische Gestalt angemessen zu darzustellen. Besonders hervorzuheben ist die berühmte Arie „Mentre gonfiarsi l’anima“ mit der anschließenden virtuosen „Oltre quel limite“ aus dem Zweiten Akt. Mit vokaler Souveränität und Bravour, einer ausgezeichneten Gesangstechnik sowie einem selbstsicher geführten Bass zieht Ildar Abdrazakov das Publikum in seinen Bann und untermauert dies mit beeindruckenden, langanhaltenden Spitzentönen. Wenn man einen Kritikpunkt anführen wollte, wäre in der Stimmführung etwas mehr Italianità wünschenswert. In den stimmlichen sowie darstellerischen Interaktionen mit seinen Gesangspartnern imponiert Abdrazakov mit gebieterischer Bühnenpräsenz.
Fazit: 
Ildar Abdrazakovs Attila darf in dieser konzertanten Aufführung wohl als das Paradebeispiel für die Interpretation dieser vielleicht anspruchsvollsten Bass-Partien Verdis bezeichnet werden! Mit beeindruckend ausdrucksstarkem Bass, der zu grandiosen Koloraturen und Spitzentönen fähig ist, wird Abdrazakov zurecht vom Publikum mit dem meisten Applaus bedacht! Bravo!

In der Partie des römischen Feldherrn Ezio ist der russische Bariton Vasily Ladyuk Vasily Ladyuk - Portrait (c) N.N., InArtManagementüberaus hochkarätig besetzt. Ladyuk, der vor allem am Moskauer Bolshoi Theater sämtliche Rollen aus dem gängigen Verdi-Repertoire wie Giorgio Germont („La traviata“), Rodrigo („Don Carlo“) oder Conte di Luna („Il trovatore“) interpretiert, zeigt mit kräftigem, hell timbrierten Bariton die Vorzüge dieser dramatischen und zugleich heldisch konnotierten Partie. Besonders hervorzuheben ist der fließende Klang-Charakter seines noblen Baritons, der neben einem kräftigen Volumen auch zu variabler Ausdrucksstärke fähig ist, wie sich bereits im gemeinsamen Auftritts-Duett „Tardo per gli anni“ mit Attila während des Prologs zeigt. Auch in der großen Arie im Zweiten Akt „Tregua è cogl’Unni – Dagl’immortali vertici“ imponiert er mit wunderbaren Spannungsbögen, kräftigen dramatischen Ausbrüchen und sprachlichen Akzentuierungen. Dementsprechend scheint die Rolle des Ezio Vasily Ladyuk wie auf den Leib geschneidert zu sein, da er vor allem mit seiner ansprechenden Mittellage und vereinzelten Spitzentönen zu begeistern vermag. Die Töne werden gesangstechnisch kontrolliert sowie selbstsicher in das Auditorium geschmettert und erfüllen die Anforderungen an den klassischen Verdi-Gesang zur vollsten Zufriedenheit. Seine Interpretation ist zusammenfassend von einer akribischen, vokalen Präzision und einer deutlichen italienischen Artikulation geprägt.
Fazit: 
Vasily Ladyuk reüssiert in der Partie des Römers Ezio auf Grund seines heldisch angehauchten Timbres, seiner präzisen Artikulation und seiner bravourös ersungenen, kraftvollen Spitzentöne! Der tosende Beifall des Publikums ist höchst verdient!

In der Rolle des Foresto, einem Ritter aus Aquileia, ist der spanische Tenor José Bros hochkarätig und bestmöglich besetzt. Bros, der sich vor allem in den Partien des Belcantos, wie z.B. Gennaro („Lucrezia Borgia“), Roberto Devereux oder Arturo („La Straniera“) einen Namen gemacht hat, präsentiert einen derart kraftvollen und gesangtechnisch ausgefeilten Tenor, der vor italienischem Schmelz geradezu strotzt. Mit welch tenoraler Strahlkraft Bros sich sämtliche belcantisch kolorierten Spitzentöne ersingt, ist grandios und höchst beeindruckend. Besonders in den orchestral zurückhaltenden, ruhigen Passagen erklingt Bros’ Tenor in voller stimmlicher Pracht und schafft zahlreiche berührende Momente. Selbst bei Quartetten sticht Bros mit seinem unverkennbaren tenoralen Timbre aus dem Sängerkollektiv heraus und hebt damit das gesamte künstlerische Niveau noch um ein Vielfaches an. Höhepunkt seiner gesanglichen Leistung ist die Cabaletta seiner Auftritts-Arie „Cara patria, già madre e reina“ im Ersten Akt, die er mit inbrünstiger Verve und vokaler Theatralik zu Gehör bringt. Die interpretatorische Hingabe wird darüber hinaus durch eine deutliche und fließende Artikulation untermauert, woran die Rolle an Präsenz und Bedeutung immens hinzugewinnt.
Fazit: 
José Bros gelingt mit seiner Rolleninterpretation des Ritters Foresto ein vokaler Coup! Mit seinem hervorragend geführten Tenor und seinem formidablen, belcantischen Timbre ersingt er sich die Gunst des Publikums und wird frenetisch bejubelt! Bravo!

© Markus Guggenberger

Titelbild: http://www.liceubarcelona.cat (Ildar Abdrazakov) / Photo-©: Antoni Bofill – honorarfrei
Besetzungszettel liegt im Original vor.

Abb.1: http://www.wikipedia.de (Giuseppe Verdi) / Photo-©: Giacomo Brogi – urheberrechtsfrei
Abb.2: http://www.liceubarcelona.cat (José Bros, Vasily Ladyuk, Ivo Stanchev, Josep Fadó, Anna Pirozzi, Speranza Scappucci, Ildar Abdrazakov, Conxita Garcia) / Photo-©: Antoni Bofill – honorarfrei
Abb.3: http://www.wikipedia.de (Attila im Kampf – Gemälde von Eugène Delacroix) / Photo-©: Eugène Delacroix – urheberrechtsfrei
Abb.4: http://www.liceubarcelona.cat (Anna Pirozzi, José Bros) / Photo-©: Antoni Bofill – honorarfrei
Abb.5: http://www.wikipedia.de (Temistocle Solera) / Photo-©: urheberrechtsfrei
Abb.6: http://www.liceubarcelona.cat (Ildar Abdrazakov) / Photo-©: Antoni Bofill – honorarfrei
Abb.7: http://www.primafila-artists.com (Speranza Scappucci) / Photo-©: Dario Acosta (Permission: Daniel Url)
Abb.8: http://www.liceubarcelona.cat (Speranza Scappucci) / Photo-©: Antoni Bofill – honorarfrei
Abb.9: http://www.centrestagemanagement.com (Ildar Abdrazakov) / Photo-©: Anton Welt (Permission: Arina Koreniushkina)
Abb.10: http://www.inartmanagement.com (Vasily Ladyuk) / Photo-©: N.N., InArtManagement (Permission: Stefano Benucci)

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